Sömmerda/ Thür.

Auszüge aus einer Chronik, die es noch nicht gibt

5.  Die Zeit Nikolaus von Dreyses 1787 - 1867

Dreyse

Johann Nikolaus von Dreyse wurde am 20. 11. 1787 als Sohn des Schlossermeisters Johann Christian Dreyse und seiner Ehefrau Susanne, der Tochter des Chirurgen J. N. Fleischmann, in Sömmerda geboren. Sein Vater betrieb nebenbei eine kleine Landwirtschaft und hatte die Berechtigung, Bier zu brauen und auszuschenken. Sein Geburtshaus, das heute eine Gedenktafel trägt, steht in der Langen Straße 2. Nach seiner Schulzeit ging er bei seinem Vater in die Lehre und beendete diese im Herbst 1806. Wie es zur damaligen Zeit Brauch war, ging er im Oktober 1806 auf die Wanderschaft, um sein Wissen und seine Fähigkeiten zu vervollkommnen. Anlaß für den schnellen Aufbruch gab wohl der Einmarsch französischer Truppen, die unter dem Befehl des Brigadegenerals Bertrand standen und nach der für sie siegreichen Doppelschlacht von Jena und Auerstedt (14. 10. 1806) auf den Marsch nach Erfurt waren, um diese Festung zu besetzen.
Zu Anfang des Jahres 1806 bis zur Doppelschlacht waren wiederholt preußische Soldaten in Sömmerda einquartiert.
Nach der vernichtenden Niederlage fluteten die geschlagenen preußischen Truppen auch durch Sömmerda. Die preußische Armee befand sich in voller Auflösung. Am 15. 10. 1806 traf der König Friedrich Wilhelm III von Preußen in Sömmerda ein und nahm im Predigerhaus der Bonifatiusgemeinde Quartier. Mit dem König waren der sächsische General Zezschwitz, der preußische General von Blücher und der Generalstabschef Schamhorst nach Sömmerda gekommen. Die Zahl der anwesenden Soldaten wurde auf 10 000 geschätzt.
Vom Kirchturm von St. Bonifatii, von wo man eine weite Fernsicht hatte, rekognoszierte der König das Terrain und die zersprengten Korps. Am Abend führten zwei ortskundige Sömmerdaer den König auf Umwegen über den Schönstedter Hof, Greußen nach Sondershausen. Von hier reiste der König nach Berlin.
Am frühen Morgen des 16. 10. 1806 besetzten die Franzosen Sömmerda und plünderten die Stadt. Die Einwohner wurden übel behandelt, die Kaufläden ausgeraubt, und in die Fenster der Wohnhäuser wurde geschossen. Die Franzosen verlangten Wein, Weißbrot, Schnaps; Fleisch und Wurst mußte in Butter gebraten werden. Frauen wurden geschändet. Raub war an der Tagesordnung. Das Schützenhaus wurde niedergebrannt.

Im Ergebnis des Friedens von Tilsit 1807 wurden Erfurt mit Sömmerda französischer Distrikt.

In den folgenden Jahren lagen fast ständig französische Truppen in Sömmerda in Quartier. Ihre Verpflegung verursachte hohe Kosten, die auf den Bürgern lasteten. Dazu kamen die hohen Kriegskontributionen, die von Kaiser Napoleon den einzelnen Distrikten auferlegt wurden. Zur Bestreitung der Kriegskosten sah sich die Stadt gezwungen, immer wieder Anleihen bei vermögenden Bürgern von Sömmerda und von auswärts aufzunehmen.
Es bedurfte eines langen Zeitraumes, bevor die Kriegsschulden getilgt waren.

Dreyses erste Station auf seiner Wanderschaft war Altenburg, wo er etwa zwei Jahre in der Werkstatt seines Vetters Beck, eines Wagenbauers, arbeitete. Auf dem Weg dorthin stieß Dreyse auf die frischen Spuren des Schlachtgeschehens von Jena und Auerstedt, die ihn nachhaltig beeindruckten.
Für ein halbes Jahr ging er dann nach Dresden, wo er bei dem Schlossermeister Mühlefeld in der Kleinen Fischergasse arbeitete.

In diesen Gesellenjahren reiften nicht nur Wissen, Fertigkeiten und Charakter Dreyses, sondern auch der Plan, für mehrere Jahre in die Weltmetropole Paris zu gehen. Dreyse erklärte rückblickend zu der Pariser Periode in seinem Leben: "hier kann ich sagen, daß ich die Grundlagen zu dem erlernte, was ich später als Gewehrfabrikant geleistet habe. Ich wurde von dem tüchtigsten Offizier jener Branche, der damals in Frankreich lebte, dem Obrist Pauly vielfach beschäftigt und ich habe etwas Tüchtiges unter seiner Leitung gelernt."
Pauly war in seiner Maschinen- und Gewehrfabrik damit beschäftigt, den Preis zu erlangen, den Kaiser Napoleon 1. für die Konstruktion eines kriegsbrauchbaren Hinterladungsgewehres ausgesetzt hatte.
Die Gewehrkonstruktion Paulys konnte Napoleon nicht überzeugen. Eine Expertenkommission empfahl jedoch deren Fortführung mit Waffen, die Elemente der Mechanik und der pyrotechnisch-chemischen Konzeption Paulys enthalten würden. Paulys Erfindung hat Dreyse und seinen weiteren Lebensweg außerordentlich beeinflußt. Außerdem lernte er in Paris, wie viele deutsche Handwerksburschen, fortschrittliche Zustände kennen.

Als die "Grande Armee" nach Rußland zog, um das Riesenreich des Zaren zu vernichten, lastete auf den Einwohnern der Stadt Sömmerda ein starker Druck, hervorgerufen durch Einquartierungen, geforderte Verpflegung und Fourage, Spanndienste, Requirierungen von Pferden u. a.
Nach der Niederlage in Rußland flutete die französische Armee im ungeordneten Zug zurück. Erneut bekam die Stadt die Auswirkungen des Krieges zu spüren.

Zu Beginn und während der Freiheitskriege wechselten die Einquartierungen in der Stadt. Nach französischen kamen westfälische Truppen und nach diesen preußische und russische Truppen. Sie alle verlangten Quartier, Essen, Fourage, Pferde u. a.

Mit dem Jahr 1815, als Ergebnis des Wiener Kongresses, wurde Sömmerda wieder preußisch. Der Kreis Weißensee, bisher kursächsisches Amt, war einer der zehn Kreise, die durch ministerielle Verfügung vom 5. April 1816 im Regierungsbezirk Erfurt gebildet wurden.
Erfurt war einer der drei Regierungsbezirke, die (mit Magdeburg und Merseburg) die preußische Provinz Sachsen bildeten.

Im Sommer 1814, nach dem Einzug der Verbündeten, verließ Dreyse Paris und kehrte mit neuem Wissen, handwerklicher Erfahrung und technischem Können ausgestattet, in seine Heimatstadt zurück. Die erste Arbeit, die er in Angriff nahm, war die Anfertigung seines Meisterstückes - Thüringer Ofen, Schlüsselserie, Kunstschloß für eine Truhe - zur Erlangung des Meistertitels. Als am 1. 8. 1815 sein Vater starb, übernahm er dessen Werkstatt. Zunächst konstruierte er verschiedene Vorrichtungen/Maschinen, um häufig anfallende Schlosserarbeiten schneller und billiger herstellen zu können. Vor allem beschäftigten ihn Gegenstände des täglichen Bedarfes (Nägel, Knöpfe, Striegel und Fensterbeschläge), um sie durch Prägen, auf kaltem Wege, fabrikmäßig herzustellen.

Dreyses Bekanntschaft mit dem Eisenwarenkaufmann Kronbiegel, vermittelt durch den Reisenden Collenbusch, begann damit, daß dieser an einer von Dreyse konstruierten Knopfzange interessiert war, mit der jeweils 6 Knöpfe in einem Arbeitsgang hergestellt werden konnten.

1817 entstand eine Knopf-, Nägel-, Striegel und Fensterbeschlagfabrik unter dem Firmennamen "Dreyse und Kronbiegel". Es war der Grundstein, auf dem aufbauend sich Sömmerda von einem Ackerbürgerstädtchen zu einer Industriestadt entwickelte.
Fabrik um 1818

Der Betrieb florierte dank der rationellen technischen und kaufmännischen Leitung, so daß die Mitarbeiterzahl innerhalb kurzer Zeit von 3 auf 17 Gesellen erhöht werden konnte.
Unablässig befaßte sich Dreyse mit den verschiedensten technischen Problemen und suchte nach effektiven Lösungen. Er arbeitete z. B. an dem Projekt einer Dampfmaschine, die anstelle des Dampfkessels über eine vielfach gekrümmte Röhre, einen sog. Erzeuger, verfügte. Die preußische Regierung erteilte ihm hierauf 1824 ein Patent. Ein Modell davon wurde im Berliner-Gewerbe-Institut aufgestellt.
Der Tod von Kronbiegel führte dazu, daß Dreyse einen neuen Teilhaber erhielt. Der Buchhalter Collenbusch heiratete die Witwe Kronbiegels und die Firma trug fortan den Namen "Dreyse und Collenbusch". Bedeutsam aber war, daß sich die beiden Kompagnons auf einen völligen Wandel der Produktions- und Erzeugnisstruktur einigten; was seine Ursache in der schöpferischen Unrast Dreyses hatte.
Der Aufbau einer Produktion neuartiger Zündmittel für Hand- und Faustfeuerwaffen, der Zündhütchen, war in dieser Zeit mit einem erheblichen Risiko belastet. Die sich in der damaligen Zeit vollziehende Entwicklung der Pyro- und Waffentechnik mag den 35-jährigen Dreyse veranlaßt haben, seine Existenz auf eine völlig neue Grundlage zu stellen. Mit seinem Kompagnon Collenbusch wandte er sich der Herstellung von Zündhütchen für die neuartigen Perkussionswaffen zu. Als Partner vermochte er die Apotheker Baudius und Kahleis und den Weimarer Büchsenmacher Anton Burckhardt zu gewinnen. Dreyse & Collenbusch begannen im April 1823 mit der Zündhütchenproduktion.
Konkurrenzfähig wurde die Firma besonders durch die eingesetzte Technologie des Versiegelns der Zündhütchenfüllung mittels einer Metallfolie.

Am 5. Januar 1824 meldete die Firma "Dreyse und Collenbusch" bei der Kgl. Preußischen Deputation für Gewerbe eine neue Art von Zündhütchen zum Patent an. Im Frühjahr 1826 wurde das Patent erteilt. Die Zündhütchen der Firma mußten sich in einem harten Konkurrenzkampf auf dem Markt durchsetzen. Im Jahre 1828 waren in der Firma "Dreyse & Collenbusch" 50 Männer und 32 Frauen beschäftigt. Am 1. März 1828 wurde die erste Fabrikordnung erlassen; sie gehört zu den ältesten ihrer Art. Mit den in ihr fixierten moralischen und sozialen Aspekten ist sie ein Abbild frühkapitalistischer Zeit.

Das Zündhütchen-Geschäft bildete für Dreyse die materielle Basis, um sich über die folgenden zehn Jahre den waffentechnischen Ideen und Experimenten widmen zu können.
Für Nikolaus Dreyse begann die Zeit der kleinen Schritt, über die allein der große waffentechnische Fortschritt sich durchzusetzen vermochte. Beim Entfernen verdorbener Zündsätze entdeckte Dreyse nach langem Probieren, daß ein Nadelstich genügte, um den Zündsatz zur Explosion zu bringen. Aus dieser Erkenntnis leitete er den Gedanken ab, die Nadel zur Zündung an der Waffe selbst zu benutzen.
1827 stellte Dreyse das erste Zündnadelgewehr her und stellte es im folgenden Jahr dem preußischen Kriegsministerium zur Begutachtung vor.

Es war jedoch immer noch ein Zündnadelvorderlader und dadurch waren seine Grenzen abgesteckt. Er erkannte, daß an dem bisherigen System - glatter Lauf und Vorderlader - eine weitere Verbesserung des Gewehrs nicht möglich war.

Erste Anzeichen einer organisierten sportlichen Betätigung in Sömmerda können für 1831 festgehalten werden. In diesem Jahr entstand die "Mittwochs-Kegel-Gesellschaft", die ihr Vereinslokal in der Gaststätte "Erholung" hatte. Ihre Statuten wurden 1856 präzisiert. Am 16. Juli 1864 wurde der "Kegelverein Reischeliana" gegründet, der sein Vereinslokal in "Reischels Restaurant" hatte. Im Juni des gleichen Jahres gründeten 45 Sömmerdaer Einwohner den "Turnverein Sömmerda". Sie wählten Karl Brose und Friedrich Ehrhardt zu Vereinsvorsitzenden. Die Aufgabe des Vereins sahen sie darin, "durch gemeinschaftliche Übungen körperliche Kraft und Gewandtheit zu erreichen, Vaterlandsliebe zu erwecken und Gehorsam zu pflegen." Bis zum Jahre 1876 zählte der Verein 100 Mitglieder. Als dann der Betrieb der Gewehrfabrik eingestellt wurde, schmolz er auf 12 Mitglieder zusammen, entwickelte sich jedoch bis 1897 auf 40 Turner. Kurze Zeit später folgte die Gründung der "Sömmerdaer Turner-Feuerwehr".

Am 1. Januar 1834 fielen, aufgrund des von Preußen geschaffenen Zollvereins, im größten Teil Deutschlands die Schlagbäume. Nun konnte der Warenverkehr weitgehend ungehemmt von Zollschranken fließen.
Als Ergebnis seiner geduldigen und zielstrebigen Arbeit gelang Dreyse 1835 die Konstruktion und Herstellung eines brauchbaren Hinterladers. Es entstand die Zündnadelbüchse. 1836 wurde die Waffe, unter der Bezeichnung "Scharfschützengewehr", der Prüfungskommission vorgestellt. Zwar bestellte der preußische Staat 150 Stück, aber es bedurfte noch langer Auseinandersetzungen mit der preußischen Militärbürokratie und der tatkräftigen Unterstützung durch den Hauptmann Priem, daß die Vergleichsversuche im November 1839 wieder aufgenommen wurden.
Jetzt befand die königliche Prüfungskommission: "Das verbesserte Zündnadelgewehr ist eine vollkommene Kriegswaffe ... und bei Bewahrung ihres Geheimnisses voraussichtlich berufen, bei Eintritt großer historischer Momente (Umschreibung für Krieg) zu einer gefeierten Nationalwaffe zu werden."

Hinterlader

Mit der Erfindung des ersten brauchbaren Hinderladegewehrs durch Dreyse begann eine militärtechnische Revolution, die weitgehende Auswirkungen auf Taktik und Strategie der Kriegführung haben sollte.
König Friedrich Wilhelm IV., seit dem 7. Juni 1840 auf dem Thron, genehmigte schon bald nach seinem Regierungsantritt 60 000 Zündnadelgewehre mit je 500 Patronen, lieferbar innerhalb von sechs Jahren, bei Dreyse in Sömmerda in Auftrag zu geben. Zur Geheimhaltung und Tarnung wurde das Zündnadelgewehr als leichtes Perkussionsgewehr bezeichnet. Für seine Erfindung bekam Dreyse eine Belohnung von 10 000 Thalern, weitere 90 000 Thaler als Kredit zum Bau der Fabrikanlagen, welche schon am 15. Oktober 1841 in Betrieb genommen wurden.
1842 konnten die ersten 3000 Zündnadelgewehre geliefert werden.

Dreyses Lebensweg fiel zusammen mit dem entscheidenden Durchbruch der industriellen Revolution in Deutschland. Als vielseitig begabter, dynamischer und kreativer Mensch entsprach er den Forderungen dieser neuen Etappe der Produktivkraftentwicklung. Er bot eine hochentwickelte Waffe an, die nur in einem Großbetrieb serienmäßig mit kleinsten Toleranzen herzustellen war. Auch die dazugehörigen Patronen waren nur aus einer Munitionsfabrik zu beziehen.
Nach der sich abzeichnenden militärischen Nutzbarkeit seiner Waffe wurde Nikolaus Dreyse 1834 in den Staatsdienst übernommen.
1834 erwarb Dreyse die alte Leimsiederei vor dem Weißenseer Tor und richtete hier die Schlosserwerkstatt zur Gewehrfertigung ein. Daraus entwickelte er später das Hauptobjekt der Sömmerdaer Gewehrfabrik. Daneben bestanden die bei Dreyses Wohnhaus in der Weißenseer Straße gelegenen Maschinenwerkstätten.

Hier wurden jetzt die für die Gewehrfabrik benötigten Maschinen hergestellt. Ein Gebäude diente als Versuchswerkstatt.

1840 erbaute die Schützengesellschaft das Schützenhaus und der Magistrat erwarb zwei Privathäuser in der Langen Straße und erbaute Schulhäuser an ihrer Stelle.
Ein weiterer Komplex der Dreyseschen Werke entstand aus dem 1841 erworbenen alten Mühlenwerken. Das Rohrhammerwerk wurde 1842 in Betrieb genommen. In ihm wurden, unter Nutzung der durch Wasserkraft getriebenen Maschinen, Gewehrläufe gefertigt.
Im Arbeitshaus erfolgte die Fertigung von Reinigungsstöcken, Bajonetten, Hülsen und anderen groben Teilen der Gewehre. Schließlich wurde am anderen Ufer der Unstrut, von der Gewehrfabrik getrennt, die Munitionsfabrik errichtet. Hier wurden die Patronen für das Zündnadelgewehr produziert. Ferner gehörten zu Dreyses Unternehmen zwei Schießstände. So wurde die gesamte Gewehrfabrikation und Munitionsherstellung als Massenproduktion mit einem hohen Grad an Arbeitsteilung unter einheitlicher Leitung entwickelt.

Da die Stadt Sömmerda mit weniger als 3000 Einwohnern und die ländliche Umgebung insbesondere den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften nicht decken konnte, wurden 136 der besten Schlosser, Mechaniker, Büchsenmacher aus allen Regimentern der preußischen Armee in einer Militärarbeitskompanie zusammengefaßt und nach Sömmerda kommandiert.

Durch den Eintritt Dreyses in den Staatsdienst und die damit verbundene Entwicklung der Gewehrproduktion, war eine Trennung von seinem Kompagnon Collenbusch erforderlich. Sie wurde endgültig 1843 vollzogen. Von da an tritt der neue Firmenname "Nikolaus Dreyse" in Erscheinung. Collenbusch firmierte weiter "Dreyse & Collenbusch".

Die Ereignisse der bürgerlichen Revolution von 1848 hinterließen in Sömmerda zunächst keine Wirkung. Der Chronist berichtet: "Die Sömmerdaer Bürger waren viel zu königstreu, als daß sie sich mit den Gedanken des Umsturzes getragen hätten." Große Aufregung entstand, als sich das Gerücht verbreitete, Dr. Stockmann, ein Arzt, wollte aus der Gegend von Kölleda mit viel Mannschaft kommen und die Waffenvorräte aus der Dreyseschen Fabrik entführen. Die aufgestellte Bürgerwehr, ausgerüstet mit dem Zündnadelgewehr, blieb Herr der Lage.
Aufgrund der industriellen Entwicklung beantragte die Stadt 1847 die Errichtung einer Stadtsparkasse. Der Einspruch der Kreissparkasse Weißensee wurde abgelehnt. Die Stadtsparkasse entwickelte sich gut und wies 1859 schon Einlagen in Höhe von 48 746 Thalern, 1860 von 51 431 Thalern und 1861 von 64 045 Thalern aus.

Das Vereins- und Versammlungswesen in der Provinz Sachsen war bis 1908 durch die Verordnung vom 11. März 1850 bestimmt. Die Vereine und Versammlungen unterlagen danach einem Anmeldezwang. Die Polizei besaß ein Auflösungsrecht, Mitgliederlisten und Statuten waren einzureichen, Frauen und Jugendliche durften an politischen Veranstaltungen nicht teilnehmen.

In Sömmerda entstand eine der bedeutendsten Waffenfabriken nicht bloß Deutschlands sondern ganz Europas.
Durch den Staatsauftrag, die Festlegung eines Preises pro Gewehr von 15 Rt 15 Sgr. und das Patentrecht der Alleinherstellung waren Produktion und Absatz der Sömmerdaer Gewehrfabrik über viele Jahre gesichert. Erst ab 1853/55 begannen Lieferungen von Zündnadelgewehren aus den unter staatlicher Leitung stehenden preußischen Gewehrfabriken. Dreyses Unternehmen wuchs kontinuierlich.

Heinrich Ehrhardt, der von 1860 bis 1863 in der Gewehrfabrik arbeitete und später erster Konzernchef des Rüstungskonzerns "Rheinmetall" war, schrieb in seiner Biografie:
"In Sömmerda machte ich die erste Bekanntschaft mit der Waffenindustrie, die später in meinem Leben eine bedeutende Rolle spielen sollte. Dort befanden sich die für die damaligen Verhältnisse riesigen Dreyseschen Werke, in denen das Zündnadelgewehr von A bis Z hergestellt wurde. Auch die hierzu erforderlichen Maschinen und Werkzeuge wurden ausnahmslos in den eigenen Werkstätten gefertigt."

Die Entwicklung der Gewehrfabrik von Dreyse hatte einen großen Einfluß auf die Bevölkerungsentwicklung und Bautätigkeit der Stadt Sömmerda. 1820 waren 1900 Einwohner ansässig, bis 1839 wuchs die Bevölkerung auf 2591, bis 1844 auf 3610 und bis 1851 auf 4528 Einwohner. Während 1820 die Stadt 439 Gebäude zählte, konnten 1851 schon 667 nachgewiesen werden.

1851 zog in die unteren Räume des Rathauses das Amtsgericht/ Kreisgericht ein. In den folgenden Jahren wurden die Kreisstraße nach Weißensee und die Straße nach Schallenburg angelegt.
1854 wurden die neue Stadtordnung eingeführt und Neuwahlen der Vertreter der Stadt vorgenommen.


Im Jahre 1854 gründete der Aktuar Kuhn eine lokale Zeitung, das "Sömmerdaische Anzeige-Blatt". Das Blatt dürfte nicht lange bestanden haben, denn am 1. April 1864 brachte Karl August Knacker in Sömmerda ein Wochenblatt heraus, das er "Wochenblatt, Lokalblatt für Sömmerda, Tennstedt, Gebesee und Umgebung" nannte.

Knacker war vom Eichsfeld, nach einer Tätigkeit in der "Müllerschen Buchdruckerei" Worbis und in Schlotheim, nach Sömmerda gekommen. Er war geistig hochgebildet, denn er hatte die Maturitätsprüfung bestanden, für einen Buch- und Steindrucker der damaligen Zeit ein sicherlich nicht alltägliches Besitzzeugnis. Im Hause des Auktionators Becker, das spätere Grundstück der Struthmannschen Buchdruckerei, in der Hindenburgstraße (heute Marktstraße), begründete der "alte Knacker", wie er in der Stadt kurz genannt wurde, seinen Verlag. Noch im gleichen Jahr, ab Nummer 43, änderte die Zeitung ihren Titel in "Allgemeines Wochenblatt für Sömmerda, Kindelbrück, Gebesee, Tennstedt und Umgebung, sowie für Stadt und Landbewohner im Kreise Eckartberga". Nach fünf Jahren änderte sich der Titelkopf in "Intelliganzblatt öffentlicher Anzeiger für Sömmerda, den Justizamtbezirk Großrudestedt und Umgegend." Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unterschied man die sogenannten Anzeiger (reine Anzeigenblätter) und die Intelligenzblätter (reine Nachrichtenblätter).

Im Jahre 1875 nahm die Zeitung endlich den Namen an, den sie dann, bis auf den Untertitel, lange führte "Sömmerdaer Zeitung - öffentlicher Anzeiger für den Kreis Weißensee, die Amtsgerichtsbezirke Großrudestedt und Vieselbach". Die Zeitung war weiterhin im Besitz der Familie Knacker.

Bei steigender Einwohnerzahl von Sömmerda war abzusehen, daß der vorhandene Friedhof, hinter der Stadtmauer im Rähmenviertel (heute Spielplatz), bald nicht mehr ausreichen würde, um hier neue Gräber anzulegen. 1856 kaufte der Magistrat vier Acker Land am Orlishäuser Weg und legte den neuen Friedhof an, der im November 1858 eingeweiht wurde. Die Straße nach dem Friedhof wurde gepflastert. Es dauerte eine Zeit, bis der Friedhof seine heutige Form fand; z. B. wurde die Trauerhalle erst 1894 gebaut.

1858 erbauten der Ratmann Martini und Bürgermeister Diethold unweit der Stadt eine Ziegelei und Kalkbrennerei.
Im gleichen Jahr wurde begonnen, Röhren vom Rannstedter Brunnen nach der Stadt zu verlegen. Im August 1859 war der Bau des Brunnens auf dem Markt vollendet.
Am 5. November 1860 wurde der Grundstein zum Bau der katholischen Kirche gelegt. Die Einweihung erfolgte am 29. September 1861.
Vom Februar bis März 1861 war ein Lehrkommando der Bundesstaaten in Sömmerda. Offiziere und Mannschaften aus allen deutschen Bundesstaaten wurden am und über das Dreysesche Zündnadelgewehr instruiert.
Entsprechend dem Ziel der Bismarckschen Politik: "...nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden... sondern durch Eisen und Blut", vollzog sich über die Kriege von 1864 gegen Dänemark, 1866 gegen österreich und 1870/71 gegen Frankreich die preußisch-deutsche Reichsgründung. Die Bewaffnung der preußischen, später der deutschen Armeen, mit modernen, bewährten Infanteriefeuerwaffen trug nicht unwesentlich zu den siegreichen Kriegen bei.

Für seine Leistungen wurde Dreyse hoch geehrt. Im Jahre 1846 erfolgte seine Ernennung zum Kommissionsrat, 1854 zum Geheimen Kommissionsrat. Am 22. März 1864 wurde er vom preußischen König in den erblichen Adelsstand erhoben. Außerdem erhielt er eine große Anzahl von Orden und Medaillen verliehen.

Aus der Kriegskontribution österreichs erhielt er 100 000 Thaler in Silber.

Als Nikolaus von Dreyse am 9. Dezember 1867 starb, hatte die Gewehrfabrik 1397 Beschäftigte, davon 253 Frauen und einen Jahresumsatz von 300 000 Thalern.
Über drei Jahrzehnte hatte die Sömmerdaer Gewehrfabrik des Nikolaus von Dreyse die preußische und über ein Dutzend anderer deutscher Armeen mit für die damalige Zeit hochmodernen Gewehren ausgerüstet. Nikolaus von Dreyse ist als hochbegabtes technisches Talent, als kreativer Waffenkonstrukteur und Erfinder sowie als fähiger Unternehmer und Produktionsorganisator des 19. Jahrhunderts in die Technikgeschichte eingegangen. Die Entwicklung der Stadt Sömmerda hat er entscheidend mitgeprägt. Er nahm tätigen Anteil am Bürgerleben der Stadt, und seine humanitäre Gesinnung kam in vielen Stiftungen und Einrichtungen zum Ausdruck.

Auf Anregung von Bürgermeister Enzmann wurde am 25. August 1907 ein Komitee gebildet, das sich die Errichtung eines Krieger- und Dreysedenkmales als Aufgabe stellte. Die Kosten für das Denkmal wurden durch hunderte von Spenden aufgebracht. Für die Gestaltung des Denkmals wurde Prof. Wandschneider in Charlottenburg gewonnen. Das Denkmal zeigte die Porträtfigur Dreyses in der Tracht seiner Zeit, auf einem Amboß sitzend, über den ein Lederschurzfell gelegt ist; der Erfinder erklärt einem feldmarschmäßig ausgerüsteten Krieger seine Waffe.
Dreysedenkmal

Das Denkmal wurde auf dem Marktplatz aufgestellt und am 20. November 1909, dem Geburtstag des Erfinders, eingeweiht.

Das Denkmal hatte dort seinen Platz bis zum Jahre 1946. Am 10. 1. 1947 übermittelte der Offizier für Militärsachen beim sowjetischen Stadtkommandanten dem Bürgermeister von Sömmerda folgenden Befehl: "Auf Befehl des Kontrollrates Nr. 30 ist das militärische Denkmal Dreyse, Marktplatz, zu vernichten. Es ist zu zerstören und schnellstens einzuschmelzen im Ofen Rheinmetall 3d, Rheinmetall-Borsig."

Otto König, ein Sozialdemokrat mit Sinn für die Geschichte seiner Heimat, versuchte, das Dreysedenkmal zu bewahren und ließ die vom Sockel abgehobene Figurengruppe in der Gießerei von "Rheinmetall" deponieren und abdecken. Er negierte damit einen Befehl der sowjetischen Ortskommandantur und hatte in der Folgezeit eine komplizierte Situation zu überstehen. Seine integre Person und offensichtlich verantwortungsbewußte Sömmerdaer Funktionäre bewahrten ihn vor einer drastischen Strafe. Bekannt wurde, daß die Figurengruppe des Dreysedenkmals beim Zuschütten einer Kiesgrube im "Rheinmetall"-Gelände mit eingefüllt wurde. Gefunden wurden danach die Bronzeköpfe von Dreyse und dem Soldaten. Der Soldatenkopf ging verloren, der Kopf von Dreyse gelangte in den Besitz des Heimat- und Geschichtsvereins Sömmerda. Der Denkmalsockel wurde später im Garten des ehemaligen Pionierhauses in der Kölledaer Straße aufgestellt.


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